edition das andere buch |
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Domenico Scarlatti war Komponist, Cembalist, Kapellmeister und Musiklehrer; er schuf über 500 unvergleichliche Cembalosonaten und gilt auch heute noch als einer der größten Cembalovirtuosen aller Zeiten. Scarlatti ist tot – seit rund 250 Jahren. Es lebe Scarlatti! Angela Kreuz erweckt ihn erneut zum Leben, buchstäblich: In seinem surrealen Wintergarten trifft er auf ehemalige Freunde und Bekannte, auf die Vergangenheit und die Gegenwart, vielmehr auf verschiedene Vergangenheiten und verschiedene Ebenen der Gegenwart und des Gegenwärtigen.
Scarlattis Wintergarten ist eine kurze Erzählung und doch eine große, eine großartige Geschichte über Leben und Tod, über Liebe und Freundschaft, über die Welt der Musik, die Welt im Allgemeinen und das, was sie zusammenhält. Leseprobe […] „Sie müssen meine Aufregung verzeihen“, sagt er. „Ihr Anblick überwältigt mich.“ „Aber, aber, werter Herr“, winkt Scarlatti ab. „Ich bin verwundert darüber, dass sich Leute aus Ihrer Zeit für wohl doch schon längst überholte Musik interessieren.“ „Ihr Genius ist zeitlos, Domenico.“ „Sie machen mich ja ganz verlegen“, sagt Scarlatti. „Erzählen Sie mir etwas von Ihrer Reise. Woher kommen Sie?“ „Aus Amerika. Ich fand dort wenig über Sie und brach in den vierziger Jahren nach Europa auf, um mehr zu erfahren.“ „1840 aufwärts also“, wirft Scarlatti ein. „Nein nein, neunzehnhundertsiebenundvierzig, im – 20. Jahrhundert“, erwidert Kirkpatrick. „Ach! – Haben Sie dort noch irgendetwas gefunden?“ „Ich habe eine beträchtliche Anzahl von Sonaten und anderen Werken entdeckt, jedoch leider nicht besonders viel zu Ihrer Person“, antwortet Kirkpatrick. „Sie schienen eine schattenhafte, ungreifbare Figur zu sein. Also entschloss ich mich, Sie über Personen, wie beispielsweise Farinelli, die Ihnen nahe gestanden waren, vor ihrem historischen Hintergrund sichtbar zu machen.“ „Was für ein Unterfangen!“ Scarlatti lacht erstaunt. „Soweit es mir möglich war“, sagt Kirkpatrick, „habe ich versucht, Tagebücher, Memoiren und Reiseschilderungen aus Ihrer Epoche mit den Augen eines Zeitgenossen zu sehen. Dazu eignete ich mir allgemeine Kenntnisse der italienischen, portugiesischen und spanischen Geschichte an. Immer wieder prüfte ich alle biographischen Unterlagen, die ich über Sie in die Hände bekommen konnte.“ „Und Ihre Reisen nach Neapel, Rom, Lissabon und Madrid?“, will Scarlatti wissen. „Haben Sie sie genossen?“ „Oh ja, ich habe mich bei Ihren warmherzigen Landsleuten recht wohlgefühlt“, erinnert sich Kirkpatrick, „und die alten historischen Bauwerke, die man in Europa überall im Überfluss findet, begeisterten mich. Doch Sie kennen ja die modernen amerikanischen Großstädte als Gegenstück nicht.“ „Es sind zu meiner Zeit viele Spanier in das neue Land ausgewandert. Mir wäre allein schon die lange Überfahrt zu anstrengend gewesen.“ „Nun ja“, sagt Kirkpatrick. „Ich bin geflogen.“ „Verstehe ich nicht“, rätselt Scarlatti. „Wie ein Vogel?“ […]
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