Warunee

Spielberg Verlag
2007
140 Seiten
9,90 €
ISBN 978-3-9810777-6-6

Warunee lebt auf einer thailändischen Insel. In ihrem Heimatdorf ist sie eine Außenseiterin. Gor ist ihr einziger Freund. Seit Gor für ein paar Monate als Novize ins Kloster gegangen ist, hat sie keine Lust mehr auf Schule und verbringt ihre Zeit hauptsächlich alleine am Strand.

Als in der Ferne die erste Riesenwelle, ausgelöst durch den Tsunami, auf den Strand zurollt, erkennt Warunee die lebensbedrohliche Gefahr …

Leseprobe

Warunee breitete ihren Sarong aus und legte ihn auf den Strand. Er war so hell, dass sie für einen Moment die Augen zusammenkneifen musste. Sie setzte sich und schaute auf ihre Füße, deren Zehennägel sie blau lackiert hatte. So blau wie das Blau in unserer thailändischen Flagge, dachte sie. Der Nagellack blätterte bereits ab. Sie grub ihre Zehen in den feuchten Sand. Die Wellen schäumten an Land und leckten Warunees Fußspuren auf, sobald sie ihrer habhaft werden konnten, und hinterließen, nachdem sie weggespült waren, eine glatte Düne. Neben Warunees Füßen befreite sich ein Krebs aus seinem Versteck und bewegte sich mechanisch, wie auf Zehenspitzen, in Richtung Wasser. Das Mädchen packte eine Handvoll Sand und warf ihn nach dem Krebs. Blitzschnell verschwand er im nächsten Sandloch. Auf dem Meer schaukelte ein altes Fischerboot. Warunee zählte die Autoreifen, die an der Bootswand befestigt waren und kam dabei auf die Zahl Sieben. Heiß brannte die Mittagssonne herab. Warunee holte eine Wasserflasche aus ihrem Stoffbeutel und nahm einen Schluck. Zwei weiße Urlauberinnen kamen am Strand auf sie zu. Die eine Frau trug einen kurzen Rock mit Sternen und ein weißes T-Shirt, auf dem Warunee „I“ und „N.Y.” ablas, dazwischen befand sich ein rotes Herz. Die andere Touristin hatte ihre Haare mit einem Kopftuch bedeckt und außer einem Bikini nichts an. Die beiden unterhielten sich auf Englisch, und als sie gerade im Begriff waren, an Warunee vorüberzugehen, sagte sie schnell: “Hey you, like postcards?” und packte vor ihren Augen einen Stapel Karten mit Fotos von der Insel aus einer Plastiktüte. Die Frauen erwiderten gleichzeitig “No, thanks” und gingen lächelnd weiter. Warunee zog ein beleidigtes Gesicht und legte die Postkarten wieder in die Tüte. Manchmal hatte sie Glück und konnte durch den Verkauf ihr Taschengeld aufbessern. Sie bewegte ihre Zehen im Sand und warf kleine Haufen in die Luft. […]